
Welche Bakterien leben auf den Oberflächen in Patientenzimmern? Kann eine neue Raumplanung Infektionen in Kliniken verhindern? Im InfectControl-Projekt KARMIN beschäftigten sich Architekten der TU Braunschweig zusammen mit Molekularbiologen des Universitätsklinikums Jena sowie Medizinern der Charité Universitätsmedizin Berlin genau damit. Gemeinsam mit einem bayerischen Unternehmen entwickelten die Projektpartner einen Prototyp für ein infektionspräventives Patientenzimmer.
Projektleiter und Architekt Dr. Wolfgang Sunder vom Institut für Industriebau und Konstruktives Entwerfen der TU Braunschweig erklärt die Hintergründe zum Projekt und betont mit Blick auf die aktuelle Corona-Pandemie die Relevanz des Prototyps.
InfectControl: Herr Dr. Sunder, Sie haben das Patientenzimmer vor dem Hintergrund der steigenden Anzahl von multiresistenten bakteriellen Krankheitserregern entworfen. Im aktuellen Corona-Geschehen stellt sich die Frage, ob auch die Anzahl von viralen Krankheitserregern nach einer akuten Kontamination auf Oberflächen schneller und effektiver reduziert werden könnte?
Wolfgang Sunder: Die erarbeiteten baulichen Lösungen im KARMIN-Projekt haben alle das Ziel, Patienten sowie ärztliches und pflegerisches Personal in ihren alltäglichen Abläufen in einem hygienesicheren Umfeld zu unterstützen. Gefördert wird dies durch bauliche Strukturen, die die räumliche Orientierung und Übersichtlichkeit stärken, die die Reinigung von Oberflächen erleichtert und die auf Veränderungen flexibel reagieren können. Das aktuelle Geschehen zeigt einmal mehr, dass das Wohl und die Sicherheit der Patienten und des Klinikpersonals immer im Mittelpunkt der Betrachtung stehen müssen.
Wie unterscheidet sich das KARMIN-Patientenzimmer von den gängigen Patientenzimmern?
Eine Vielzahl von Zweibettzimmer in deutschen Krankenhäusern hat aktuell nur ein Bad, das sich die Patienten teilen. Die Untersuchungen bei KARMIN haben ergeben, dass getrennte Bäder mehr Hygiene gewährleisten und somit Infektionen vermieden werden können.
Zudem sind die Patientenbetten so positioniert, dass sie sich gegenüberstehen. Dadurch ergeben sich drei notwendige Zonen im Raum: a. Bewegungszone und Transport, b. Patienten-/Versorgungszone und c. Aufenthalt und Besuch. Die Bewegungsabläufe von Ärzten und Pflegern, Patienten und ihren Besuchern werden durch diese Zonierung möglichst getrennt geführt. Zudem ist die Qualität der Bettplätze im Raum gleichwertig. Für die Pflege am Patienten hat jeder Bettplatz klar definierte Lagerflächen und eine Arbeitsfläche.
Welche Anforderungen sollten Materialien im Patientenzimmer erfüllen und welche Rolle spielt die Beleuchtung?
Bei der Raumplanung eines Patientenzimmers sind Auswahl und Einbau sinnvoller Materialien ein relevanter Aspekt, um die Übertragung gefährlicher Keime in Krankenhäusern zu reduzieren. Aufgrund der vielfältigen Nutzungsprofile im Patientenzimmer haben wir unterschiedliche Anforderungen an das Bauteil bzw. das Material in mechanischer, physikalischer, chemischer und hygienischer Hinsicht definiert. So haben wir für die Ausstattungsgegenstände im Patientenzimmer nur jene Materialien gewählt, die eine möglichst glatte und fugenfreie Oberfläche haben und insbesondere gegenüber Desinfektionsmitteln zur Flächen- und Händedesinfektion langfristig beständig sind. Außerdem wurde bei kritischen Flächen auf grafisch strukturierte Oberflächen verzichtet, um die Reinigung durch eine bessere Sichtbarkeit von Verschmutzung zu erleichtern. Bei der Planung wurde darauf geachtet möglichst Vor- und Rücksprünge zu vermeiden, um eine einfache und schnelle Reinigung zu gewährleisten.
Die Beleuchtung im Patientenzimmer muss sowohl auf die unterschiedlichen Nutzergruppen (z.B. Patient, Pflege- und Reinigungskraft) als auch auf den Tag / Nachtverlauf optimal ausgerichtet sein. Dementsprechend wurde im KARMIN-Patientenzimmer mit dem Ansatz des Human Centric Lighting (HCL) gearbeitet. Die entwickelten Lichtszenarien gewährleisten, dass zu jeder Zeit das beabsichtigte Licht bereitgestellt wird, das der jeweiligen Lebens- oder Arbeitssituation angemessen ist.

Wie unterscheiden sich die entworfenen Desinfektionsspender von den gängigen Desinfektionsspendern? Funktionieren die Spender kontaktlos?
Im Rahmen unserer Nachforschung haben wir eine Vielzahl von Verbesserungsmöglichkeiten im Design des KARMIN-Desinfektionsmittelspenders implementiert. Sie zielen einerseits auf eine vereinfachte Reinigbarkeit durch Bauteilreduzierung und das Verhindern unsachgemäßer Mehrfachverwendung von Pumpköpfen ab, aber andererseits auch auf eine Sicherstellung der Desinfektionsmittelausgabe bei Stromausfall. Daher erfolgt die Ausgabe mechanisch und nicht kontaktlos. Zudem wird die Kontaktfläche durch den Wechsel der Flaschen regelmäßig ausgetauscht und der Nutzer desinfiziert die Hände nach dem getätigten Hub.
Der Spender zeichnet sich neben einer neuartigen Flasche auch durch die Anwendung sogenannter injunktiver Normen zur Steigerung der Compliance aus. Dabei wird durch das wechselnde Motiv eines lächelnden und traurigen Smileys das Pflegepersonal zur Benutzung angeregt. Des Weiteren erfasst ein System Daten zur Nutzergruppe, Füllstand und Anzahl getätigter Hübe, sodass bei Teambesprechung die Compliance gezielter angesprochen werden kann. Ein bereits bewährtes Mittel, das jedoch bisher auf ungenauer Datenlage basiert. Außerdem wurde die Positionierung der Spender hinsichtlich einer Arbeitsablaufintegration gegenüber herkömmlichen Zweibettzimmern optimiert.
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